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Sommer-Literatur

  • sophieschreibt
  • Jul 22, 2017
  • 4 min read

Ein Roman so erfrischend wie eine Kugel Sorbet wie auch kurzweilig


>>Ich erinnerte mich an mich selbst als junge Frau, an meine Verwirrung, an meine Vorstellung von Zukunft: ein Schiff, bereit in See zu stechen, auf das ich nur steigen musste, um etwas Großartigem entgegen zu segeln, doch ich konnte mich nicht entschließen, eine Fahrkarte zu lösen.<<


Alice, blutjung aber nicht voller Tatendrang, führt zu Beginn ihrer Zwanziger ein verträumtes, bisschen verpfuschtes Leben. Bis sie der Meisterin in Mexiko begegnet. Diese verkörpert nicht nur Eleganz und Emanzipation, sondern auch Alices Lebenstraum, eines Tages ihr Dasein als Schriftstellerin zu fristen. Noch dazu scheint die 30 Jahre ältere Ikone ein Händchen für Männer zu haben, was man von der Hauptfigur leider nicht behaupten kann. Das Vorhaben, fortan von ihr aus der Asche gepustet zu werden/ sich mit der Meisterin ernsthaft anzufreunden, geht mehr schlecht als recht in Erfüllung. Kein Grund für Alice in Panik zu geraten, denn durch die Weltgeschichte tingeln, nach Mexiko, San Francisco und abermals Mexiko reisen, kann man auch allein - mit oder ohne blühender Phantasie.


Tragisch komisch ist der 216 Seiten lange Roman Diebe und Vampire von Doris Dörrie, welcher 2015 im Diogenes Verlag erschien, und seine kühle Lebensweisheit springt einem nahezu ins Gesicht. Das mag karamellisiert klingen, weil seine Handlung hauptsächlich die Kunst des Scheiterns besingt, von dem Hang zu falschen Männern, Schreibblockaden und unerfüllten Träumen erzählt. Alice und ihre naive, wenn doch herrlich zynisch, innere Stimme wachsen einem jedoch schon in den ersten Zeilen ans Herz. Diese Sympathie für die etwas linkische Hauptfigur reicht sich die Hand mit dem ein oder anderen Spiegelbild, das dem Leser ab und an aus dem Hinterhalt entgegen blitzt.


>>Er hielt es für ein Problem meiner ganzen Generation, dass wir für nichts mehr kämpfen mussten, weder für die Gleichberechtigung und die sexuelle Revolution noch für das Ende des Krieges in Vietnam.

Er und seine Generation hatten das bereits alles für uns erledigt. Danke, großer Vorsitzender, sagte ich daraufhin immer. Manchmal lachte er dann: Ihr verfluchten Parasiten. Immer nur Spaß haben wollen, wird Euch das nicht langweilig? Ich hatte gar nicht so viel Spaß wie er meinte. Ich interessierte mich hauptsächlich für mich selbst, aber das war meist deprimierend.<<

Spürbar wird mit dem Klang jeden Wortes die Unsicherheit, welche das Abenteuer der Jugend, das 20+sein, das Entdecken und Scheitern aller Natur mit sich bringen, wenn man sich selber noch finden muss und keine Ahnung hat, wo die Reise hingehen wird. Alice wird tatsächlich dem Rat der Meisterin folgen und trotz aller Qual etwas zu Papier bringen. Dabei kommt sie in die Jahre und reflektiert besonders im letzten Drittel des Buches die Stolpersteine ihres immer noch nicht famosen Werdegangs. >Mit einem Schlag erkannte ich das klaftertiefe, saudumme Unglück der Jugend wieder, das mit dem Unglück später im Leben kaum etwas gemein hat, weil man sich vom späteren Unglück nicht mehr erholt.>>

In den Vordergrund rückt die Autorin hierbei die Frage, inwiefern man sich seinen Träumen opfern sollte, und welch Fluch und Segen auf den Schultern des Schreibenden lasten. Oftmals überkommt einen die leise Ahnung, dass Doris Dörrie dafür in ihren eigenen Memoiren kramte, denn selten strotzen Geschichten vor solcher Authentizität, Ironie und bitterem Zugeständnis. Vielleicht kann sie aber auch einfach nur gut schreiben. Dies geschieht in (meistens) erfrischend kurzen Sätzen, welche wie Hemingway die Kunst verstehen, auf den Punkt zu kommen. Nicht selten muss man über sie schmunzeln.

Ja, wiederholte sie langsam, wir scheitern und scheitern. Wir scheitern nicht auf dem Weg zum Gelingen, sondern wir scheitern grundsätzlich. In der Mitte dieses Spinnennetzes aus dem täglichen Debakel des Schreibens, der Verzweiflung und Depression sitzt keine Spinne, die man töten könnte, sondern der Leser. Denn selbst wenn wir richtig gut sind, haben wir keine Ahnung, was der Leser aus dem macht, was wir schreiben.


Für jeden, der sich diesen Roman zur Hand nimmt, wird seine Bekanntschaft ein Vergnügen sein. Für jeden, der ein mal selber schreiben möchte, die Stunde der Wahrheit. Doris Dörrie muss einst selber in den Startlöchern gestanden haben, bevor sie zu dem wurde, was sie heute ist (laut der Zeit einer der besten Erzählerinnen der deutschen Gegenwartsliteratur). Offenkundig spricht sie über die weit verbreitete Illusion, welche das Autorendasein so leicht und erfreulich verkauft wie den Verzehr von Sorbet. Hat man es sich einmal zum Beruf erkoren, so sie selbst, erlebe man es eher als Kampf. Man müsste (Zitat) aus der bequemen normalen Welt ausziehen, in der man ein angenehm schläfriges Leben als Konsument leben könnte. Stattdessen müsste man Misserfolge und Häme riskieren, Armut auf sich nehmen, Selbstzweifel und Selbsthass.


Doch den Autoren der Zukunft gönnt sie einen Hoffnungsschimmer. Wer auch immer sich zum Schreiben berufen fühlt, scheint sie einem auf jeder Seite mit einem Augenzwinkern zu sagen, sollte sich jeglichem Hindernis zum Trotze dazu zwingen. Akzeptieren würde man sich selbst andererseits nie. Daher: Nicht heulen. Schreiben! Autoren mögen Diebe und Vampire sein, weil sie anderen die Erlebnisse klauen. Wie niemand sonst erfahren sie jedoch das Privileg, den Dschungel kennen gelernt zu haben.


Von den wilden Tieren angefallen zu

manchmal auch verschlungen und halbtot wieder ausgespuckt zu werden. Das Schreiben ist eine gefährliche Angelegenheit. Doch wer wirklich Schreiben will, sucht genau dieses Abenteuer. Viele trinken sich dafür Mut an, manche erschießen sich hängen sich auf, stürzen sich irgendwann aus dem Fenster, andere sind Zwangsneurotiker, leiden an Angststörungen und Depressionen. Aber wer sich einmal wirklich in den Dschungel gewagt hat, weiß, dass er von da an ein doppeltes Leben lebt. Eins in der Welt und eines im Dschungel.

Ein Schriftsteller lebt zweimal.


 
 
 

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